Verlegung von Stolpersteinen unter Teilnahme von 20 Mitgliedern der Familien Zernik aus Israel vom Mittwoch, 6. Juni 2018, 9.20 Uhr, Duisburger Straße 16 in Wilmersdorf

09.06.2018: Mit der Verlegung von sieben Stolpersteinen für die Berliner Familie Zernik endet das Projekt "Gedenken Duisburger Straße - Gegen das Vergessen" vorerst

Zu der Stolpersteinverlegung vom 6. Juni 2018 in der Duisburger Straße 16 in Wilmersdorf waren zwanzig Nachkommen der Ururgroßeltern der Familie Zernik aus Israel beiwohnen.

Fotos von der Stolpersteinverlegung (Fotos dürfen unter Angabe des Fotographen Simon Becker für redaktionelle Zwecke frei verwertet werden).

Über die Stolpersteine-Verlegung in der Duisburger Straße berichtete die Berliner Morgenpost am 7. Juni 2018.

Die Initiative für die Stolpersteinverlegungen für die Familie Zernik, wie für alle Aktivitäten für das Projekt Gedenken Duisburger Straße, fußt auf das Engagement von Mitgliedern der SPD-Abteilung Wilmersdorf Nord, die in Archiven recherchiert und Daten zusammengetragen haben. Dazu wurden Hausgemeinschaften initiiert und beraten, die die Gestaltung der Verlegungszeremonie selbst übernommen haben.

Über viele Jahre hat die SPD Abteilung Wilmersdorf-Nord das Projekt Gedenken gegen das Vergessen organisiert und betreut. Die Initiative hat dazu Historischen Rundgänge durchgeführt und drei Broschüren gefertigt und veröffentlicht und sie hat sich maßgeblich für die Informationsstele eingesetzt, die an den Eingängen zur Duisburger Straße steht, - ebenso wie für die Organisation von Stolpersteinen in der Duisburger, der Bayrischen und der Konstanzer Straße in der Nähe des Olivaer Platzes.

Das Projekt hat für die SPD Wilmersdorf Nord eine besondere Bedeutung, nicht zuletzt durch die Arbeit mit vielen Anwohnenerinnen und Anwohnern und deren Unterstützung mit Informationen und großzügigen Spenden.

In diesem Jahr wird das Projekt Gedenken Duisburger Straße mit der Verlegung von sieben Stolpersteinen vor dem Haus Duisburger Straße 16 abgerundet und vorerst abgeschlossen: Wie mit den damaligen SpenderInnen abgestimmt, konnten aus den verbleibenden Mitteln die Stolpersteine in der Duisburger Straße 16 initiiert und finanziert werden. Es hat sich eine aktive Hausgemeinschaft gefunden, die selbst die Organisation der Verlegungszeremonie übernommen hat.

Verlegung von Stolpersteinen durch Auszubildende des Bauhofs Licherfelde

Über die Familie Zernik
Max Zernik wurde am 23.04.1877 in Kattowitz (Schlesien) in ein jüdisches Elternhaus geboren. Er schloss die Realschule ab, durchlief eine kaufmännische Ausbildung und zog 1900 nach Berlin. Als Einkäufer für Leinen- und Baumwollwaren arbeitete er im Kaufhaus Hermann Tietz Leipziger Straße. 1910 heiratete er Hedwig Tichauer aus dem Scharley in Schlesien. Aus dieser Ehe gingen die Söhne Herbert Emanuel Zernik (* 10.10.1912 in Berlin) und Ernst Zernik (* 19.10.1917 in Berlin) hervor, die 1935 und 1936 nach Palästina auswanderten.

Im Ersten Weltkrieg war Max Zernik Frontsoldat von 1914-1918. Nach dem Krieg stieg er zum stellvertretenden Geschäftsführer des Hermann-Tietz-Kaufhauses am Berliner Alexanderplatz auf. Im Jahr 1926 übernahm er die Geschäftsführung des Kaufhauses Chausseestraße mit eigener Berufsschule.

Im April 1933 kam es zum nationalsozialistischen Boykott jüdischer Geschäfte, jüdischer Geschäftsinhaber und zur Entlassung "nicht arischer Beamte".

In diesen Boykott-Tagen vom April 1933 verlor Max Zernik seinen Arbeitsplatz aus rassischen Gründen. Der Leiter der nationalsozialistischen Kaufhaus-Betriebszelle betrat zusammen mit einem entlassenen Fahrstuhlführer in Uniform, der wegen Trunkenheit im Dienst entlassen worden war, das Büro des jüdischen Kaufhausdirektors Max Zernik. Unter vorgehaltenem Revolver wurde er gezwungen zu unterschreiben, dass er "freiwillig" seinen Posten zur Verfügung stelle (Quelle: Eides-stattliche Versicherung Herbert E. Zernik, 02.07.1957, Tel-Aviv). Nach seiner Entlassung bezog er eine Pension.

Die Familie Zernik wohnte in Berlin NW 21, Bundesrat Ufer 7, an der Spree (Quelle: Jüdisches Adressbuch von Groß-Berlin 1931) und zog am 01.07.1934 in die Duisburger Straße 16, Berlin W 15, um. Es war eine 4-Zimmer-Wohnung, die im 2. Stock des Vorderhauses lag. Den Mietvertrag fertigte die Hausverwaltung Hilde Fleck, Wilhelmstraße 12, aus. Die monatliche Miete betrug RM 140,00.

In der Folge der nationalsozialistischen Novemberpogrome gegen Juden vom 09.11.1938 wurde Max Zernik am 12.11.1938 in das Konzentrationslager Buchenwald unter der Häftlings-Nummer 27139 eingeliefert und am 04.12.1938 dort entlassen (Quelle: Internationales Rotes Kreuz, Arolsen, 28.05.1956). Von den Nationalsozialisten wurde er zynisch als "Aktionsjude" eingestuft. Der Novemberpogrom von 1938 war der Beginn der systematischen Judenverfolgung in Deutschland am Vorabend des nationalsozialistischen Holocausts. Es gelang der Familie Zernik nicht, Deutschland zu verlassen.

1938 hatte Zernik eine Sicherheit für die Reichsfluchtsteuer bei dem Finanzamt zu hinterlegen. Außerdem wurde ihm 1939 eine hohe Judenvermögensabgabe auferlegt, sodass er seine Lebensversicherungen bei der Nordstern Lebensversicherung an das Finanzamt Wilmersdorf-Nord abtrat (22.06.1938).

Das Finanzamt übte das Rückkaufrecht auf die Lebensversicherungen aus. Die Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe wurde aus den Rückkaufwerten der Versicherungen beglichen. Die Nordstern-Lebensversicherung überwies am 02.03.1939 den Betrag von RM 11.122,00 an die Finanzkasse des Finanzamts Wilmersdorf-Nord, gemäß einer Verfügung der Steuerbehörde vom 20.02.1939 (Quelle: Landesarchiv Berlin, B Rep 025-03, Nr. 4020).

Max Zernik nahm seine Schwestern und die Nichte in seine Wohnung auf: Else Jacoby geb. Zernik, Olga Bähr geb. Zernik und Gerda Bähr. Sie sind in der Volkszählung vom 17.05.1939 unter der Adresse Duisburger Str. 16, Berlin W 15, geführt (Quelle: Bundesarchiv Berlin, Bestand R 1509, Reichssippenamt). Den Holocaust überlebten sie nicht (siehe kurze Opferbiografien im Anhang).

Seit Oktober 1941 werden Berliner Juden in die Ghettos des Ostens deportiert. Am 03.12.1941 schreibt Herbert Emanuel Zernik aus Palästina einen Kurzbrief über das Rote Kreuz an seine Eltern Zernik in Berlin:

"Liebe Eltern, bitte berichtet umgehend Euer Ergehen. Wir alle, Mirjam, kleine Chawa, wohlauf. Ernst zu Besuch bei uns. Bleibt gesund, seid herzlichst gegrüßt. Eure Kinder."

Die Eltern Zernik antworten am 17.02.1942 über das Deutsche Rote Kreuz nach Palästina: "Liebe Kinder, unser Ergehen zeitentsprechend. Sollten Veränderungen erfolgen, werdet Ihr durch Tante Emmy benachrichtigt. Bleibt gesund und glücklich, hoffen trotzdem auf ein Wiedersehen. Eure Eltern. Berlin, den 17.02.1942."

Emmy Zernik ist die Schwägerin von Max Zernik, verheiratet mit Leo Zernik. Die Rot-Kreuz-Briefe tragen zahlreiche Zensurstempel (Quelle: Entschädigungsamt Berlin, Reg. 52697, Verfolgter: Max Zernik).

Der Antwortbrief der Eltern aus Berlin ist eines der letzten Lebenszeichen vor ihrer Ermordung.

Text: SPD Wilmersdorf Nord.

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